Eine
Leidenschaft die ab und zu auch Leiden schafft
Die
Achtzigerjahre
Mit
sehnsüchtigen Blicken, haben wir damals den grobstolligen grossen
Enduro-Motorrädern nachgeschaut. Fasziniert bis in die letzte Körperfaser
von den verschiedenen Abenteuermaschinen. Selber noch in ungeduldiger
Warteposition auf den herbeigesehnten Lernfahrausweis, war dies rückblickend
eine unheimlich schlimme Lebensphase der Enthaltsamkeit gegenüber
der motorisierten Zweiradwelt.
Lange Federwege, riesige Tanks, grosse Viertaktmotoren und Kickstarter
für Männer in respekteinflössender Höhe kickten
die Helden ihre fantastischen Maschinen an mit Endurohelm, Scott-Brille,
Dainese-Endurojacke, abgelebte SIDI-Ledercross-Stiefel, vergilbter Rucksack
eines Mineralöllieferanten, kombiniert mit einer Hüfttasche
für Werkzeug und ein knappes Halstuch ob dem Jackenkragen
so sah die grosse Enduro-Motorradwelt für uns damals aus!
Die bebilderten Reisereportagen in den Motorradmagazinen verschlangen
wir im Akkord und tapezierten die Wände unserer Buden mit eindrücklichem
Bildmaterial unserer Enduro-Traumbikes.
Diese Aufnahmen hatten für uns damals schon den Charakter von etwas
Urbanem, verbunden mit Abenteuer, grenzenloser Freiheit und fokussiert
auf das Wesentliche. Maschinen zum Fahren und reparieren nachhaltige
und überschaubare Technik.
Und Heute
Die Elektronik hat die Abenteuermotorräder von damals fest im Griff.
Unzählige elektronische Assistenzsysteme stumpfen unsere Sinne für
die eigene Beherrschung eines Motorrades immer mehr ab. Traurig mit anzusehen,
was aufgrund von Lärm- und Abgasemissionen, Gesetzen, Vorschriften
und Marketingstrategien der Hersteller, aus «unseren» damaligen
Enduro-Motorräder entstanden ist. Natürlich gibt es auch viel
Gutes und Positives über die aktuellen Enduro-Modelle zu berichten
aber wehmütige Blicke zurück auf die Achtzigerjahre sind
an dieser Stelle erlaubt
Das Projekt: Yamaha XT 600 Z Ténéré
das zweite Leben
Und genau dieser Blick in den Zeit-Rückspiegel war für mich
die Motivation für ein Schrauber-Projekt. Basis dafür waren
zwei ausser Verkehr gesetzte Motorräder vom Typ 34L und 47N (identisch
mit der 55W) als Teileträger. Mein Anspruch bestand u.a. darin, alle
anfallenden Arbeiten selbst zu erledigen. Dies unter der Tatsache bescheidener
Schrauber-Fähigkeiten, finanzieller Möglichkeiten und nebst
der Familie und Arbeit auch den eingeschränkten zeitlichen Ressourcen
dafür.
Das Ziel - mindestens eine der beiden Ténérés muss
wieder zurück ins Leben. Es soll keine Vollrestauration und neues
Ausstellungsmotorrad werden. Die «Königen der Wüste»
sollte aber eine «Ténéré des Herzens»
mit einer über fünfunddreissig jährigen Vorgeschichte werden.
Wie so oft bei einem Projektvorhaben, steht zu Beginn ein kaum zu bändigender
und überschäumender Ideen-Enthusiasmus.
Die eigene Lebenserfahrung hat einem in der Vergangenheit aber auch aufgezeigt,
dass dieser grandiose emotionale Höhenflug in der Regel irgendwann
abzubrechen droht und die unbarmherzige Tatsache in eine lethargische
Ernüchterung wechseln kann.
Ganz so dramatisch war es aber bei den beiden Ténérés
nicht. Nach der ausführlichen Bestandesaufnahme der beiden Maschinen,
lösten sich die eigenen Ideenwolken allmählich und machten Platz
für die Realität. Auf einmal wurde mir klar, dass ich mit den
beiden Maschinen eine «Lang-(Frei-)Zeit-Werkstattbeziehung»
eingehen werde. Dies besonders noch unter meiner eigenen Vorgabe «reparieren
statt ersetzen und erhalten statt erneuern».
Aber jetzt der Reihe nach
.
Aus platztechnischen Gründen hatte ich nur einen Schrauber-Bühnenarbeitsplatz
zur Verfügung. Somit musste ich jeden Arbeitsfortschritt für
beide Maschinen doppelt ausführen. Ein riesiger Vorteil darin für
mich als Novize einer 600er-Ténéré-Restauration lag
in der Baugleichheit der beiden Motorräder.
Bevor ich mit der «grossen Zerlegung» der beiden Motorräder
begann, machte ich einige Foto-Aufnahmen vom IST-Zustand. Aus bescheidener
Erfahrung weiss ich aber, dass im Verlaufe eines solchen Projektes Bildaufnahmen
immer wiedermal sehr hilfreich sein können.
Ich begann, die beiden Ténérés zu zerlegen und nach
Baugruppen sortiert abzulegen. Die gesamte Peripherie demontierte ich
bis auf den Rahmen. Die Motoren stellte ich nach einer ersten Kontrolle
für den Moment noch auf die Seite.
Ur
- Zustand und Zerlegung
Dann folgte der eigentlich aufwändigste
Teil der Restaurierung das zerlegen, reinigen, reparieren und polieren
der einzelnen Baugruppen. Jeder der schon stundenlang seine Finger in
lösemittelgetränke Lappen gewickelt in jede noch so kleine Ritze,
Rundungen und Öffnungen gesteckt hat, weiss wovon ich jetzt schreibe.
Das Gefühl lässt einem dabei manchmal nicht mehr los, in der
eigenen Werkstatt auf einem Endloslaufband von Alaska bis Feuerland unterwegs
zu sein.
Beide Ténéré-Tanks
(die mit der schönsten Form!) hatten diverse Dellen und Beulen. Hierzu
habe ich einzig externe Hilfe von einem Fahrzeugschlosser angenommen,
der mir die grössten Dellen an den beiden Tanks herausgezogen hat.
Die kleineren Ausbesserungen habe ich verspachtelt und verschliffen. Die
beiden Tanks habe ich mit Glassplitter gefüllt kräftig bis an
die eigene Erschöpfung der Oberarme in mehreren Tages-Etappen geschüttelt
und anschliessend innen neu beschichtet.
Tank
Instandsetzung
Für die Lackierarbeiten habe
ich zuerst zweimalig einen 2K-Füller aufgetragen und jeweils verschliffen.
Im Anschluss applizierte ich eine Haftgrundierung, diese wieder einen
Feinschliff bekam, bevor dann der Decklack in entsprechender Farbe aufgetragen
wurde. Das Aufbringen der Folien- und Schriftzüge war ein Meilenstein
in der Projektphase und fühlte sich wie eine persönliche Genugtuung
für all die vielen Stunden schleifen, spachteln, abdecken und lackieren
an. Alle Teile habe ich abschliessend mit einem 2K-Decklack überzogen.
Auch hier gab es Arbeitsphasen, wo zwei Schritte vorwärts und drei
zurück eher die Regel als die Ausnahme waren. Als dann alle Teile
weiss, schwarz und die beiden Rahmen rot lackiert waren, war dies für
mich wie ein Wendepunkt im Projekt.
Den bestehenden Lack an den Rahmenteilen, habe ich von Hand ab- und blankgeschliffen.Die
Kunststoffteile waren ebenfalls Zeitzeugen vom Gebrauch während der
letzten drei Jahrzehnte wollten für eine neue Lackierung vorbereitet
werden.
Rahmen
neu lackieren
Doch bevor ich jetzt mit dem Wiederaufbau
der beiden Ténérés beginnen konnte, musste ich mich
noch intensiv um die beiden Yamaha-Herzen kümmern. Während sich
der Motor von der 34L mit 40tkm noch in relativ gutem Zustand befand,
war für das Herz der 47N mit 105tkm nur noch eine sehr kostenintensive
Rettung mehr in Aussicht. Also suchte ich Ersatz dafür und fand ein
fast komplettes Aggregat aus einem Unfallmotorrad mit nur 18tkm. Aus den
zwei «kranken» Motoren konnte ich einen «Gesunden»
zusammenbauen und in die 47N implantieren.
Motoren
überholen/ austauschen
Zusammenbau
Im
Herbst 2020,
nach fast zweijähriger Werkstattzeit, konnte ich die Zündung
auf EIN stellen und die Kickstarter an den beiden Ténérés
erstmals durchtreten.
Ein erhebendes unbeschreibliches Glücksgefühl durchfährt
einem in diesem Moment. All die vielen Arbeitsstunden, ungehörte
Werkstattflüche, schlaflose Stunden und Rückschläge, aber
auch persönliche Erfolgserlebnisse während der letzten Monate,
ziehen in Gedanken vorüber und erfüllen einem mit Stolz über
das Erschaffene.
Selbstverständlich habe ich im Zuge der Zerlegung auch alle Lager
und Kabelzüge ersetzt, die Vergaser gereinigt und revidiert.
Das
Ergebnis
Es bleibt eben doch «Eine Leidenschaft die ab und zu auch
Leiden schafft!»
Der kleine Sohnemann ist ebenfalls so fasziniert vom Ankicken dieser grossvolumigen
Einzylinder, den langen Federwegen, dem grossen Tank und den schönen
Farben dass er bereits im jetzt schon im Kindergartenalter Erbansprüche
bezüglich den beiden Ténérés angemeldet hat
Abschliessend betrachtet, war dieses
«Doppel-Ténéré-Projekt» für meine
persönlichen Möglichkeiten vom Umfang her doch «recht
sportlich» ausgelegt es gab Momente, wo einen Schritt vorwärts
und zwei zurück ein echter Glückstreffer gewesen wäre.
Im Dezember 2020 hat die 34L beim Strassenverkehrsamt die Oldtimer-Zulassung
auf anhieb erfolgreich bestanden und sich somit den Weg für das zweite
Leben frei geschaffen.
Die 47N wird ihr hoffentlich vielleicht irgendwann folgen
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